„Lebensstiländerung wirksam wie potente Antidiabetika“. Die Headline eines Beitrags der ÄrzteZeitung über die Ergebnisse einer aktuellen diabetologischen Studie liest sich wie die Verkündung einer kleinen Sensation. „Selbst bei fortgeschrittenem Typ-2-Diabetes mellitus (T2DM) lässt sich durch Lebensstiländerungen so viel erreichen wie mit einem potenten Antidiabetikum.“ heißt es in dem Artikel weiter. Na so was! Ernährungsfachkräften und Ärzten, die sich mit der Wirkung kohlenhydratreduzierter Diäten bzw. mit Low Carb auseinandergesetzt haben, dürfte das Ergebnis allerdings wenig überraschen.
Seit Jahren kämpfen die Low Carb-Verfechter fast schon verzweifelt um Anerkennung. Von Diabetologie und Ernährungswissenschaft, repräsentiert von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), werden ihre Erkenntnisse noch immer geflissentlich ignoriert. Und dann das: Eine Studie von Prof. Stephan Martin vom Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrum in Düsseldorf sorgt auf dem jüngsten Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) offensichtlich für großes Erstaunen. Hier das zentrale Ergebnis – knapp zusammengefasst*: Eine initiale kohlenhydratarme Diät, gefolgt von dauerhaft kohlenhydratreduzierter Enährung, unterstützt durch ein Motivationstraining und mehr Bewegung, ließ den HbA1c der Studienteilnehmer nach drei Monaten um 1,0 Prozentpunkte sinken. Nach einem Jahr lag der HbA1c immer noch um 0,7 Prozentpunkte unter dem Ausgangswert – trotz deutlicher Reduzierung der Gabe von oralen Antidiabetika und Insulin wegen Hypoglykämiegefahr. Zudem verloren die Patienten im Schnitt 6 kg Gewicht und ihr systolischer Blutdruck sank. (mehr Infos zu der Studie siehe hier und hier)
Die Ergebnisse sind sicher erfreulich, aber alles andere als neu. Den Nutzen kohlenhydratreduzierter Diäten u.a. bei Typ 2-Diabetes, metabolischem Syndrom und Bluthochdruck haben bereits Peter Heilmeyer et al. in einem Artikel im Jahr 2010 unter dem Titel „Einfluss kohlenhydratreduzierter Ernährung auf die Hypertonie beim metabolischen Syndrom“ ausführlich beschrieben. Im abschließenden Kommentar der Autoren heißt es: „Da von Seiten der Pharmaindustrie kein Interesse an einer weiteren wissenschaftlichen Bearbeitung dieser Thematik besteht, ist es notwendig, dass weitere Studien aus anderer Quelle finanziert werden.“ Ob die Studie von Prof. Martin hier ein Umdenken bringt? Die Phalanx aus Pharmaherstellern und DGE wird dies schon zu verhindern wissen. Die Empfehlungen der DGE zum Kohlenhydratverzehr stehen immer noch wie in Beton gegossen – das dürfte die Diabetologen nicht gerade zum Umdenken motivieren. Auch die Krankenkassen beteiligen sich an den Kosten der Ernährungsberatung für Diabetiker nur, wenn sich die Inhalte an den Leitlinien der DGE orientieren. So wird Low-Carb als vermutlich potenteste Antidiabetikum wohl leider ein Schattendasein als Geheimwaffe im Verborgenen bleiben.
Unsere holländischen Nachbarn z.B. sind da schon wesentlich weiter. Bereits 2012 hat Prof. Nicolai Worm, einer der Co-Autoren von Heilmeyer, auf eine neue Leitlinie niederländischer Diätologinnen/Diätassistentinnen hingewiesen, die ganz konkrete Ernährungsempfehlungen zur Therapie von Insulinresistenz und Folgestörungen vorgibt. Einer der zentralen Punkte ist dabei die Empfehlung einer kohlenhydratreduzierten Kost: “A carbohydrate restriction has a greater effect on lowering serum glucose values than a caloric restriction and should be the first choice in treatment of type 2 diabetes.” Dem ist nichts hinzuzufügen.
Dr. Friedhelm Mühleib
* Die Darstellung der Ergebnisse bezieht sich auf die Ausführungen im Bericht der Ärztezeitung, nach deren Angaben die Studie selbst noch nicht veröffentlicht ist.
Hallo,
endlich wird die Low-Carb-Diät mal in das richtige Licht gerückt. Oftmals wird diese Thematik nämlich völlig falsch vermittelt und so entsteht ein flasches bild. So ist auch in meinem Bekanntenkreis weitverbreitet, dass ich die fehlenden Kohlenhydrate durch Fett ausgleiche. Dadurch ergibt sich natürlich nicht unbedongt eine gesunde Struktur. Vielen Dank für den guten Artikel. Es wird definitiv nicht der Letzte sein den ich hier Lese.
Mfg
Max von https://www.0815fitness.de/
Mit richtiger Ernährung ist extrem viel machbar. Viele Krankheiten würden mit einer richtigen Ernährung keine Chance haben. Studien zeigen, dass sogar Krebs verhindert bzw. bekämpft werden kann. Vor allem basische Lebensmittel sind zu empfehlen. Die Ernährungsumstellung kommt meist erst dann , wenn der Körper erste Anzeichen einer Mangelernährung aufzeigt und es oft schon zu spät ist. Das Konzept der Low-Carb-Ernährung wird immer populärer, allerdings sind Kohlenhydrate ein wichtiger Energieliferant und nocht ganz wegzudenken. Hier kommt darauf an, welche Carbs gegessen werden.
Lieber Herr Mühleib! Vielen Dank für das Engagement!
Ich fürchte, die weit verbreitete negative Darstellung von Low-Carb durch bekannte Meinungsbildner hat bewirkt, dass die Verbraucher immer noch die Vorstellung haben, bei Low-Carb müssten sie vor allem Speck und Eier und Sahne und Unmengen an Fleisch essen. Dabei kann man schon auf den Nahrungsmittelpyramiden von modernen Low-Carb-Methoden mit einem Blick bereits erkennen, dass Gemüse, Salate, Beeren und Früchte DIE wichtigste Nahrungsgruppe darstellen und die Sättigungsgrundlage bei jeder Mahlzeit darstellen sollten. Die modernen Konzepte sind mediterran aufgehängt! Und man kann Low-Carb auch vegetarisch machen, ja sogar vegan. Es gibt eine gute kanadische Studie mit tollen Ergebnissen unter veganer Low-Carb Diät – genannt “Öko-Atkins”… 🙂 Noch ein Problem: Die Verbraucher denken immer: Von nun darf darf ich KEINE Kartoffeln mehr essen und KEIN Brot mehr usw. Dabei ist das natürlich Unsinn. Es geht um eine Umschichtung der Sättigungsgrundlagen und die kann individuell gesteuert werden. Außerdem: Wer Carbs nur ungern einschränken mag, muss sie sich eben verdienen – mit Muskelaktivität! Das heißt, dass man je nach Status und Ziel und muskulärer Aktivität seine Kohlenhydratzufuhr individuell flexibel gestalten kann: Flexi-Carb so zu sagen…
Du sagst es, Friedhelm, wozu noch eine Studie. Die Datenmenge pro kohlenhydratbewusster Ernährung für Diabetiker ist doch schon riesig und eindeutig. Bleibt zu hoffen, dass steter Tropfen den Stein höhlt und irgendwann auch unsere so genannte Fachgesellschaften überzeugt sind. Zum Glück sind viele Diabetiker schon weiter als die Fachgesellschaften und haben ihre Ernährung umgestellt. Spüren sie doch die Vorteile am eigenen Körper, wenn sie weniger KH essen und dafür Lebensqualität gewinnen!