Prof. Dr. Volker Pudel: Der Staat sollte seine Bürger bei Tisch nicht alleine sitzen lassen

Wie stark darf oder soll sich der Staat einmischen, wenn es ums Essen und Trinken, um Fragen von Ernährung und Gesundheit geht? Haftstrafen mit Zwangsdiät für Dicke sind zum Glück noch nicht zu befürchten. Trotzdem mehren sich die Stimmen von Experten, die sich mehr Staat hinter Deutschlands Kochtöpfen wünschen. Der bekannte Ernährungspsychologe Prof. Dr. Volker Pudel gehört seit Jahren zu denen, die für mehr und gezieltes staatliches Eingreifen plädieren.

Weder Ernährungsaufklärung noch Ernährungsberatung, so Pudel, haben in den letzten 50 Jahren ihr Ziel erreicht: Ernährungsabhängige Erkrankungen und Übergewicht nehmen weiter zu. Pudel betrachtet die klassische Verhaltensprävention in Form von Information und Beratung als weitgehend gescheitert und fordert stattdessen mehr „Verhältnisprävention“. In einem Beitrag in der aktuellen Ausgabe der „Ernährungsumschau“ untermauert er diese Ansicht: „Man denke an die Gurt- und Helmpflicht, an das Schutzgesetz für Nichtraucher, an die verbindlichen Regeln im Straßenverkehr und viele Gesetze mehr. Damit wird ein Teil der Mündigkeit des Verbrauchers eingeschränkt – und es ist auch sicher gut so, dass der Staat seine Fürsorgepflicht wahrnimmt und nicht auf die Mündigkeit bzw. Selbstverantwortung des Verbrauchers vertraut. Denn so mündig, wie der Verbraucher dargestellt wird, ist er offenbar nicht. Allerdings lässt der Staat seine Verbraucher essen und trinken, was auch immer sie wollen.“

Als Konsequenz fordert Pudel nicht den strafenden, sondern den fürsorglichen Staat: „Warum kommt der Staat seiner Fürsorgepflicht nicht nach und gibt praxisnahe Hilfestellung? Ein Staat, der fürsorglich Regeln erlässt, um Konflikte zwischen Nachbarn wegen überstehender Äste zu vermeiden, sollte seiner Fürsorgepflicht nachkommen und seine Bürger nicht bei Tisch alleine sitzen lassen.“

Wohl bekomms meint: Wenn es schließlich um konkrete Vorschläge geht, kneift der Pudel den Schwanz ein. Fürsorge für die Erwachsenen hält er per se für vergebene Liebesmüh: „Es erscheint aussichtslos, günstige Veränderungen bei Erwachsenen erzielen zu wollen, deren Speiseauswahl und Geschmacksansprüche durch Jahrzehnte habitualisiert wurden. Eine neue Esskultur hat nur bei Kindern die Chance, akzeptiert zu werden, weil deren sensorischer Horizont nicht vorbelastet ist und damit mehr Freiheiten für die Etablierung ihres Essverhaltens bietet.“ Schulen und Kindergärten sind denn auch für Pudel die wesentlichen Wirkungsstätten, in denen sich staatliche Ernährungsfürsorge austoben sollte. Betrachtet man die Realität, scheint der Staat kein großes Interesse an umfassender (..und sicher nicht billiger) Ernährungsfürsorge zu haben. Manchem Politiker dürften Pudels Argumente allerdings willkommen sein, um mittelfristig nicht den fürsorglichen, sondern den strafenden Staat als ständigen Begleiter am Esstisch zu fordern. Wie weit darf der Staat hier gehen? Sind z.B. höhere Krankenkassenbeiträge für Dicke gerechtfertigt? Ich bin gespannt auf Kommentare!