Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) hat sich im Lebensmittelbereich Nachhaltigkeit auf die Fahnen geschrieben und sie zum Thema des verbraucherpolitischen Forums auf der Grünen Woche gemacht. Das ist gut! Klaus Müller, Vorstand des vzbv, sieht hier vor allem die Politik in der Pflicht. „Wir erwarten von der Politik ein konkretes Maßnahmenpaket, das klare Verantwortlichkeiten benennt für die Stärkung des nachhaltigen Konsums. Dazu müssen in erster Linie Produktionsweisen offengelegt werden. Verbraucher benötigen mehr Transparenz und Wettbewerb auf dem Nachhaltigkeitsmarkt“ so Müller auf der Grünen Woche. Da die Hersteller – zumindest viele – zwar von Nachhaltigkeit reden, aber nicht wirklich wissen, was sie tun (..oder es nicht ehrlich sagen wollen), muss Politik den Rahmen bestimmen.
Der vzbv fordert u.a. ein staatliches Gütesiegel, damit nachhaltig produzierte Produkte erkennbar und glaubwürdig sind. Die derzeitige Unübersichtlichkeit in der bereits bestehenden Label-Landschaft biete für Verbraucher keine hinreichende Orientierung: „Wir fordern ein einheitliches Gütesiegel für nachhaltige Produkte. Dafür muss die Bundesregierung im ersten Schritt unter Einbeziehung der Wissenschaft einen strengen Anforderungskatalog formulieren, der Verbrauchern Orientierung bietet“, so Klaus Müller. Er belegt seine Forderungen unter anderem mit den Ergebnissen einer aktuellen Umfrage, nach denen zwei Drittel der Verbraucher beim Lebensmitteleinkauf ‚häufig‘ auf Nachhaltigkeit achten. Das ist erfreulich, bedeutet allerdings wenig. Antworten auf Fragen, deren Inhalt der Befragte nicht wirklich versteht, sind wenig wert. Man darf vermuten: Was Nachhaltigkeit wirklich bedeutet, haben die wenigsten Befragten auf dem Schirm. Oder wurde das vorher abgefragt? Der Durchschnittsverbraucher weiß allenfalls, dass Nachhaltigkeit etwas Gutes ist. Eine Kaufabsicht für das Gute zu äußern, kann ja nicht falsch sein.
Das entwertet die Umfrage der Verbraucherschützer aber nicht. Es ist allenfalls ein klarer Hinweis darauf, dass nicht nur die Hersteller mehr in die Pflicht genommen werden müssen, sondern auch die Verbraucher noch sehr viel mehr Information und Aufklärung brauchen – nicht nur von Seiten der Hersteller. Sonst bleiben die nachhaltigen Produkte irgendwann trotz zertifizierter Nachhaltigkeit in den Regalen liegen, weil sie dem Verbraucher zu teuer sind. Denn klar ist: Nachhaltigkeit kostet Geld! Sicherheitshalber sagen denn auch schon mal 55% der Befragten – vorsichtig, wie Verbraucher nun mal sind – nachhaltige Produkte seien ihnen zu teuer. Nachhaltig und billig geht aber nicht. Darüber muss man aufklären. Wer weiß, wofür er bezahlt und die Gründe versteht, den kann man vielleicht doch überzeugen. Nachhaltigkeit bedeutet u. a. auch, dass kleinbäuerliche Produzenten in ärmeren Ländern von ihren Einkommen leben können. Deshalb sollten – nein: müssen wir für deren Produkte so viel bezahlen, dass für die Erzeuger ein Leben ohne Not, in bescheidenem Wohlstand möglich ist. Nachhaltigkeit beinhaltet immer auch diese soziale und wirtschaftliche Dimension. Darüber muss man aufklären, dass müssen Verbraucher verstehen. Dazu reicht es dann auch nicht, dass – wie Müller fordert – Produktionsweisen offengelegt werden. Es muss auch auf den Tisch, was Lebensmittelmultis den Erzeugern bezahlen. Wer dann die höheren Preise bezahlt, trägt auch dazu bei, dass Menschen ihr zu Hause nicht mehr aus ökonomischen Gründen verlassen, um irgendwo weit weg von der Heimat ein besseres Leben zu suchen. Das ist überall und für alle gut – auch dafür lohnt es sich, mehr zu zahlen, weil alles andere viel teurer wird.
Zur Darstellung dessen, was nachhaltigen Lebensmittelkonsum ausmacht, braucht auch der vzbv ein Positionspapier von 14 Seiten (Download hier). Wer fundierte Infos zum Thema aus berufenem Munde sucht, dem sei die Website des Ernährungsökologen und Nachhaltigkeitsexperten Dr. Karl von Koerber empfohlen. Von Koerber gehört zu den geistigen ‚Vätern“ der Nachhaltigen Ernährung. Interessierte finden auf seiner Seite ein „Update“ zur Konzeption des Begriffes „Nachhaltige Ernährung“. Wesentliche Neuerung: Über die vier Dimensionen Gesundheit, Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft hinaus wird die Kultur als zusätzliche Dimension einbezogen. Was Nachhaltige Ernährung ist, fasst Koerber in folgendem Gedanken zusammen:
„Essen mit Genuss und Verantwortung – für alle Menschen auf der Erde und für die kommenden Generationen“
Hallo Friedel,
danke für den tollen Beitrag! Ein staatliches Gütesiegel, das die Nachhaltigkeit der Lebensmittel bestätigt, wäre bestimmt ein Schritt in die richtige Richtung. Natürlich ist es gleichermaßen wichtig, dass der Verbraucher sich dessen bewusst ist und es ihm letztendlich auch “wert” ist, nachhaltige Lebensmittel zu kaufen. Dazu genügt es, meiner Meinung nach, aber nicht den Verbraucher besser über Nachhaltigkeit aufzuklären. Ich denke das Kaufverhalten der Verbraucher ist vielmehr mit der Macht der Gewohnheit verankert und demnach sollten den Verbrauchern eventuell, außer größerer Aufklärung, noch weitere Anreize gegeben werden, die ihnen dabei helfen auf nachhaltige Lebensmittel umzuspringen. Es ist wichtig, dass der Verbraucher merkt, dass er trotz des Kaufs teurerer Lebensmittel, seinen Alltag regeln kann und am Ende des Monats seine Rechnungen bezahlen kann. Wenn ihm das bewusst ist, wird ihm der Wechsel zu nachhaltigen Lebensmittel vielleicht sogar ohne ein staatliches Gütesiegel gelingen. Was denkst du dazu?
Viele grüße wünscht dir kundentests.com
Lieber Friedel, danke Dir für diesen Beitrag!
Es ist richtig und wichtig, in diesem Zusammenhang Karl von Koerber zu erwähnen!!! Auch dafür DANKE!!! Es gibt viel, was ich dazu sagen könnte, zumal ich mich seit Jahren damit sehr intensiv beschäftige. Vielleicht nur zwei Dinge: 1. Das mit dem staatlichen Gütesiegel wurde ja schon mehrfach gefordert… Aber das ist m.E. nicht zielführend. Außerdem reichen nationale Siegel und Zertifizierungen alleine überhaupt nicht, um “nachhaltiger” zu produzieren. Da braucht es noch viel mehr Anstrengungen – von allen gesellschaftlichen Akteuren, um die Farmer vor Ort zu unterstützen. Es gilt auch, den ganzheitlichen Ansatz zu sehen, wie z.B. GAP, GEP, GSP (Gender!!!), Managing, Financing und v.a. Good Governance in den Produktionsländern. Man kann auch nicht jeden Rohstoff gleich behandeln. Und neben Kaffee, Tee und Bananen gibt es auch Produkte, die verschiedene Rohstoffe (Zutaten) enthalten. Die Komplexität unterschätzen viele. 2. Und dass “die Hersteller” noch zu wenig machen, stimmt so pauschal nicht, denn in den letzten Jahren ist viel passiert, nur über dieses Engagement möchte kaum jemand berichten. Und auch “die Politik” (gerade hier in Deutschland) kümmert sich darum. Auch nicht erst seit gestern.
Interessant, dass der vzbv das Thema Nachhaltigkeit auch mal auf die Agenda seines diesjährigen Forums gebracht hat. Es springt ja doch der eine oder andere gerne auf den fahrenden Zug und profitiert vom Rückenwind anderer und fordert von der Politik wieder dies und das, um in die Medien zu kommen. Das konnte man ja gerade während der IGW ständig hören, lesen und sehen.
Es ist wichtig, dass das Thema “Nachhaltigkeit” in seiner Vielfalt weiter aus der Nische herauskommt. Daran arbeiten viele Menschen in unterschiedlichen Bereichen professionell, z.B. in den Produktionsländern, mit guten Projekten und in Multi-Stakeholder-Initiativen. Und wie wir noch mehr Verbraucher davon überzeugen können, ist noch eine herausfordernde Aufgabe…