…und mich macht diese Meldung aggressiv!

Momentan macht wieder einmal eine dieser unsäglichen Ernährungs-Meldungen die Runde: „Süßigkeiten machen Hiebe“ (ärzteblatt.de), „Zu viel Süßes kann Gewaltbereitschaft erhöhen“ (derStandard.at), „Süßigkeiten machen Hiebe“ (DIE WELT) und so weiter und so fort. Wer hat da nun was beforscht? Dr. Simon Moore von der School of Dentistry an der Universität Cardiff (viel mehr ist über den Mann mit herkömmlichem Googeln nicht rauszukriegen) hat Daten der „1970 British Cohort Study” ausgewertet, die das Leben von 17 500 britischen Babys aus dem Jahr 1970 begleitete und ihre Entwicklung hinsichtlich Lebensstil, Gesundheit, Bildung und Sozialverhalten verfolgte und auf Zusammenhänge untersuchte.

70% derProbanden, die als Erwachsene wegen wie auch immer gearteten gewalttätigen Verhaltens aktenkundig wurden, hatten als Kinder täglich Süßigkeiten gegessen. Unter den Nicht-Gewalttätigen waren es signifikant weniger. Was nun als „Studienergebnis“ kursiert, ist eine (äußerst vage) Interpretation des ermittelten Zusammenhangs: Wer als Kind nicht lernt, auf Bedürfnisse zu verzichten, holt sich im Erwachsenenalter mit Gewalt, was er nicht bekommt.

Wohl bekomms meint: Die Konstruktion des Zusammenhangs mag plausibel sein, deswegen bleibt sie trotzdem Spekulation – sie ist in etwa so sicher wie der Zusammenhang zwischen dem Rückgang der Klapperstörche und der Geburtenrate. Wissenschaftlich ist das nicht, wie Dr. Moore seine Ergebnisse interpretiert. Ich behaupte mit gleicher Plausibilität das Gegenteil: Keine Süßigkeiten bzw. nichts zu essen fördern die Gewaltbereitschaft noch viel mehr.

Das belegt ein kurzer Blick in die Geschichte und die Literatur. Angefangen von den Bauernkriegen über den 30-jährigen Krieg ( hier empfehle ich einen Blick in die wunderbare Neuübersetzung des Grimmelshausen-Simplicissimus von Reinhard Kaiser im Eichborn-Verlag) bis zur französische Revolution hält die Geschichte zahllose Beispiel dafür bereit, dass Hunger wesentlich gewalttätiger macht als Süßigkeiten.

Aber: natürlich ist die Studie ein gefundenes Fressen für die Medien. In englischen Quellen wird Dr. Moore mit einschränkenden Kommentaren zitiert: But the study stopped short of recommending parents stop giving the sugary treats. “This is an incredibly complex area,” Mr Moore said. “It’s not fair to blame it on the candy.” Das hat von den deutschen Rezensenten der Studie schon keiner mehr des Zitierens für wert befunden. Wozu auch – es nähme der schönen Meldung doch nur den Effekt. Die Menschen fühlen sich verunsichert von dem ganzen Ernährungs-Meldungs-Müll, der täglich in den Medien ausgekübelt wird. Mit schuld daran sind allerdings die Medien, die kritiklos aus Spekulationen Ergebnisse machen und selbige dem Leser als Wahrheit andienen, weil die sich so besonders gut verkaufen lässt. Mich machen solche Meldungen aggressiv – vielleicht, weil meine Mama mir die Süßigkeiten immer verboten hat??