Das Zitat von Gunther Hirschfelder hat mein Interesse auf das Nestlé Zukunftsforum (NZF) gelenkt. Die Überlegung: Der ‚Schnecken-Schnack‘ kann nicht das einzige Ergebnis des Symposiums gewesen sein! Was ist das NZF? Es versteht sich als Gremium, das „über den Tellerrand von Ernährung hinausschaut.“ Bei näherer Betrachtung drängt sich allerdings der Eindruck auf, das Forum könnte mit dem Blick in die Zukunft überfordert sein. Das NZF – eine Mission impossible?
Der NZF-Website ist zu entnehmen: Die Mitglieder des acht-köpfigen Beirates sind Wissenschaftler aus den Bereichen Ernährung, Kultur und Nachhaltigkeit, Trend- und Meinungsforscher sowie Bildungspolitiker, Sterneköche und Vertreter der Lebensmittelwirtschaft. Der Beirat identifiziert jährlich wechselnde Themenschwerpunkte. Ernährung wird dabei in den Kontext gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklungen und der Nachhaltigkeit gestellt. Als Diskussionsgrundlage dienen dem Beirat wissenschaftliche Fakten und Auswertungen: Factbooks werden für jedes Thema neu erarbeitet. Daraus leitet das interdisziplinäre Gremium Prognosen und Leitfragen ab.
Das NZF hat also in der vergangenen Woche getagt – mit 80 hochkarätigen Gästen – aber offensichtlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit – zumindest findet Google nichts dazu. Den einzigen Hinweis entnehme ich einer 30-Zeilen Meldung in der Lebensmittelzeitung (Printausgabe v. 14.06.): „Der Zeitmangel bedroht die Esskultur. Dies ist die Quintessenz der vorbereitenden Studien, die der Beirat des Nestlé-Zukunftsforums zum 3. Symposium vorstellt.“ Wer hätte das gedacht? Ich zumindest hätte nun gerne gewusst, wie die Veränderungen in der Zukunft aussehen könnten, die sich aus dieser gebündelten Erkenntnis „Zeitmangel bedroht die Esskultur“ ergeben. Doch ich finde –nichts. Entweder waren die Ergebnisse so banal, dass man sie der Öffentlichkeitt beim besten Willen nicht mitteilen kann. Oder sie waren so sensationell, dass man sie erst einmal als geheime Verschlusssache handelt.
Wer Geld hat, kann sich vieles leisten – wenn‘s Spaß macht, sogar ein Zukunftsforum. Dem interessierten Außenstehenden bleibt die Frage nach dem Sinn: Die Zusammensetzung des Gremiums gibt wenig Aufschluss. Man kann dem Unternehmen nicht einmal vorwerfen, es habe – wie bei ähnlichen PR-Maßnahmen üblich – das Gremium nach Prominenz statt Kompetenz besetzt. Nun gut – der unvermeidliche Johan Lafer ist dabei. Aber der Rest? Natürlich ist da einiges an Kompetenz – darunter aber kaum Köpfe, die für wirklich zukunftsweisende Themen der Ernährung stehen. Nachhaltigkeit, Bio-Ernährung, personalisierte Ernährung, Lebensmittelvermarktung und -Handel (Internet als Konkurrenz zum klassischen Handel) und Verbraucherschutz – diese und ähnliche zukunftsbestimmende Aspekte der Ernährung sind wenn überhaupt, nur am Rande vertreten.
Auch die Website des NZF bringt wenig Erhellendes:
– Gibt es dort Berichte über das aktuelle Symposium (Stand: 18.06.)? – Fehlanzeige.
– Berichte über das Symposium im vergangenen Jahr? – Viele Bilder, wenige Aussagen.
– Berichte über das erste Symposium 2011? – Eine Seite, ein paar Fotos und ein paar Zitate.
Unter dem Menüpunkt „Mission“ wird auf der NZF-Seite schließlich erklärt: „Das Nestlé Zukunftsforum beschäftigt sich mit den gesellschaftlichen Aspekten der Ernährung . .. 85 Prozent der Deutschen geben an, sich schlechter zu ernähren, als sie eigentlich möchten oder für richtig halten. Die identifizierten Gründe dafür sind Fehlernährung, Stress und Desinteresse.“ An diesem Punkt setzt das Zukunftsforum an: Die Zukunft vorausdenkend, will es Weichen in der Gegenwart stellen, indem es Problemfelder identifiziert, Prognosen erarbeitet und Debatten in unterschiedlichen Fachkreisen über Handlungsspielräume und Trends initiiert. Die Ergebnisse dieser Dialoge werden im Rahmen öffentlicher Symposien mit Akteuren aus Gesellschaft, Medien, Politik und Wirtschaft durchgesprochen, um gemeinsam Impulse für eine neue Kultur der Ernährung zu leisten.
Eigentlich gute Ideen. Doch ihre Umsetzung – zumindest, wie sie sich derzeit präsentiert – wirft Fragen an das Unternehmen und das Forum auf.
– Welche Problemfelder (.die über die üblichen Schlagworte hinausgehen!) wurden bis jetzt – im vierten Jahr des Bestehens des NFZ – identifiziert?
– Welche Prognosen wurden abgeleitet. In welcher Form erfolgen Weichenstellungen?
– Wo wurden – über die Symposien hinaus – Debatten angeregt.
– Wie sehen die Impulse für eine neue Kultur der Ernährung aus?
– Wo gibt es die Factbooks der Themen aus den vergangenen Jahren?
Meine Hoffnung, jemals eine Antwort auf diese Fragen zu erhalten, ist gering – da Blogs von Unternehmen und Wissenschaftlern nach wie vor weitgehend ignoriert werden. Vielleicht heißt das Zukunftsforum deshalb Zukunftsforum, weil es erst in Zukunft wirklich tätig werden wird. Vielleicht ist die Zukunft der Ernährung als gesellschaftliche (nicht als unternehmerische – die wird ja mit großem Erfolg gemeistert) Aufgabe für Nestlé einfach doch eine Mission Impossible. Schade eigentlich. Aber wer weiß, vielleicht ringt sich ja die Nestlé Öffentlichkeitsarbeit doch zu einer Auskunft durch, die für mich und die tellerrand-Leser Gegenwart und Zukunft des NZF erhellen.
Ihre Kommentare tangieren genau die Aspekte, die uns im Augenblick umtreiben. Offen gesagt: Das NZF ist eines unserer ambitioniertesten Projekte. Es ist ein Angebot an alle gesellschaftlichen Gruppen, aus „dem ideologischen Schützengraben“ herauszukommen und in einer geschützten Atmosphäre offen und gesellschaftsübergreifend über Ernährung zu diskutieren und gemeinsam Handlungsalternativen zu entwickeln. Kern des Konzepts ist, aus dem Blickwinkel der Gegenwart Zukunftsentwicklungen zu antizipieren – um daraus Schlussfolgerungen für konkrete Handlungen abzuleiten. Dass dies mal gut und mal weniger gut gelingt, liegt einfach daran, dass es unglaublich schwer ist, sich von der Gegenwart zu lösen. Um eine Debatte anzustoßen bedarf es freilich noch mehr. Das kann man nicht erzwingen – nicht einmal durch ein gutes Thema wie z. B. Verbraucherorientierung. Dazu bedarf es u. a. auch medialer Partner, die bereit sind, solche Themen multilateral aufzugreifen.
Inwieweit das NZF also eine „Mission impossible“ ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Auf jeden Fall ist es ein Versuch, die gegenwärtige Diskussionskultur rund um Ernährung zu verändern. Dieser Ansatz wird goutiert und ernst genommen. Anders kann ich mir die stetig wachsende Beteiligung z. B. der NGOs nicht erklären. Trotzdem – und das möchte ich noch einmal herausstellen – haben Sie mit Ihrem Zwischenruf völlig recht. Das NZF ist wandlungsfähig.
Viele Grüße – Hartmut Gahmann
Leitung Corporate Communications-Nestlé Deutschland AG