Wenn foodwatch im Reis nach Rückständen von Mineralöl sucht, wirkt das fast schon verzweifelt. Zu lange gab es für die Essenretter keine nachhaltigen Schlagzeilen mehr – vom verlorenen Prozess gegen Becel mal abgesehen. Da musste nun endlich was passieren. Schon im Oktober hatte foodwatch verschiedene Trockenprodukte – insbesondere Reis, Nudeln und Cornflakes – in einer Studie auf Rückstände von Mineralöl untersucht, und viele Produkte mit entsprechenden Rückständen gefunden – in 31 von 42 der in Deutschland untersuchten Produkte (74 Prozent) ließen sich Spuren der Substanzen nachweisen. Die Veröffentlichung der Ergebnisse hat dann offensichtlich nicht die entsprechende Resonanz gebracht. Um doch noch die ersehnte Aufmerksamkeit zu erhalten, packen die Essensretter jetzt die Keule aus: „Foodwatch greift teils zu radikalen Mitteln: Die Verbraucherschützer sprechen selbst Rückrufe aus, räumen Produkte aus den Regalen.“ – so steht es gestern in der WELT(.. wo man auch nachlesen kann, was im Detail passiert ist, mehr Infos auch bei Google News).

Tatsächlich gibt es wenig Zweifel daran, dass aromatische Kohlenwasserstoffe aus Mineralöl – sogenannte MOAH (mineral oil aromatic hydrocarbons) in Lebensmitteln, wie sie Foodwatch vor allem in Reis gefunden hat, gesundheitsschädlich sind – obwohl eindeutige wissenschaftliche Belege noch fehlen. Also: von Mineralölrückständen in Lebensmitteln können tatsächlich gesundheitliche Gefahren ausgehen ( dazu hier mehr vom BfR ). Doch wie groß und relevant sind diese Gefahren im Verhältnis zur Gesamtbelastung des Verbrauchers mit polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe (PAK), zu denen auch die MOAH gehören. Der eigentliche Skandal ist, dass foodwatch ein paar Hersteller von Reis und Nudeln mit Rückständen im Mikrogrammbereich attackiert, die wahren Gefahren aber außen vor lässt – sie nicht einmal benennt: Kein Wort über den Volkssport Grillen und das Rauchen als wichtige Quellen für PAK (.. hier die gesammelten Infos von foodwatch zu MOAH & Co.).

Der größte Gefahrenherd für die Belastung mit aromatischen Kohlenwasserstoffen stammt jedoch nicht aus der Nahrung, sondern aus dem Holzfeuer im Kamin des braven Bürgers – und auch das wird von foodwatch nirgends erwähnt. Circa 14 Millionen Haushalte in Deutschland verfügen über Holzfeuerstellen. Nach Angaben der Umweltbundesamtes wurden 2010 in Deutschland 191,5 Tonnen der vier polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe (PAK) Benzo[a]pyren, Benzo[b]fluoranthen, Benzo[k]fluoranthen und Indeno[1,2,3-cd]pyren in die Luft emittiert, davon ca. 93% von kleinen und mittleren Feuerungen in Haushalten und im Gewerbe, knapp 5% kommen aus Industrieprozessen, der Rest aus Großfeuerungsanlagen und dem Verkehr (weniger als 1%). Das relativiert die vermeintliche Gefahr aus der Nahrung. Dies nicht zu erwähnen, ist auch eine Art von Verbrauchertäuschung. Um annähernd auf die Menge zu kommen, die vor deutschen Kaminen veratmet wird, müssten die Deutschen vermutlich mehr belastete Produkte essen, als Reis in ganz China produziert wird. Wer mehr über die PAK-Problematik wissen will, findet im Hintergrundbericht des Umwelbundesamtes und im Scilogs-Blog von Lars Fischer die entsprechenden Informationen.

foodwatch sucht den Splitter im Auge des Feindes – bemerkt aber den Balken vor dem eigenen Kopf nicht. Was im Fall MOAH dabei herauskommt, ist unseriös. Natürlich müssen für Rückstände aus Mineralöl verbindliche Grenzwerte her – gar keine Frage. Und genauso wichtig ist, diese Rückstände aus den Lebensmitteln möglichst ganz zu verbannen. Wer die geringen gefundenen Rückstandsmengen skandalisiert, indem der das Problem aus dem Zusammenhang reißt und den großen Rahmen der Belastung mit Kohlenwasserstoffen nicht darstellt, betreibt einerseits ungerechtfertigte Panikmache beim Verbraucher und zum anderen Rufschädigung gegenüber Lebensmittelherstellern und Handel. Während der Zusammenhang zwischen Holzrauch und Atemwegsinfektionen bei Kindern sowie chronischer Bronchitis und Lungenkrebs bei Erwachsenen, besonders bei Frauen erwiesen ist ( bei ihnen verdreifacht Holzrauch z.B. das Risiko einer chronischen Bronchitis), gibt es noch keine einzige Studie, die Erkrankungen oder gar Todesfälle durch MOAH & Co. aus Lebensmitteln belegt.

Noch eines geht gar nicht: Dass demnächst jeder Verein zur Selbstjustiz greift. Wenn foodwatch Produkte ausräumt, die man nach eigenem Dafürhalten für gesundheitsschädlich hält, werden bald schon die Vegetarier die Wurst aus den Regalen schmeißen, die Diabetes-Hilfe wird öffentlich Zuckerwaren verbrennen und Fairtrade wird Tonnen von Kaffee aus den Märkten holen, die nicht fair gehandelt sind. Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer beim Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL) und damit Vertreter der Lebensmittelindustrie kommentiert entgeistert: “Foodwatch definiert abweichend von der wissenschaftlichen Einschätzung willkürlich eigene und nicht plausible Belastungsgrenzen” – und spricht Foodwatch das Mandat zum Verbraucherschutz ab (aktuelles Statement des BLL hier, Hintergrund hier).

Betroffene Unternehmen denken bereits an rechtliche Schritte. Vielleicht braucht foodwatch tatsächlich noch ein paar verlorene Prozesse, um nicht mehr aus jeder Mücke einen Elefanten zu machen, der dann viel Porzellan zerschlägt. Effekthascherischer Aktionismus dürfte kaum zielführend sein. Warum verbündet sich foodwatch in einem solchen Fall nicht z.B. mit UBA und vzbv, um konkrete Forderungen nach einer umgehenden Festlegung von verbindlichen Grenzwerten zu fordern – wäre sicher sinnvoller, als Regale zu räumen. Noch ein paar solcher Pseudo-Skandale, die skandalös vor allem für foodwatch sind, und keiner nimmt den Verein mehr ernst. foodwatch sollte sich davor hüten den Blickwinkel bei solchen Aktionen auf das zu verengen, was den eigenen Interessen nutzt. Auch Essensretter müssen leben, und sie nähren sich von Mitgliedern und Spendern. Wenn Skandale im Dienst eines ‚Marketing by Angst & Aufregung‘ stehen, kann das auch schief gehen. Und wer rettet dann die Essensretter? Wir brauchen kritische Instanzen zum Schutz der Verbraucher, deren wichtigstes Pfund die Glaubwürdigkeit ist. Die sollte man nicht leichtfertig verspielen. Wär doch schade um foodwatch :).