Studie zeigt: Frühzeitige Maßnahmen verzögern Diabetes-Erkrankung um Jahre“.  Diese Schlagzeile ist nicht – wie man durchaus vermuten könnte – etwa 20 Jahre alt. Sie bezieht sich auf die jüngst veröffentlichten Langzeitergebnisse der DPP-Studie, ist also brandaktuell und wandert in dieser und ähnlicher Form seit wenigen Tagen durch diverse medizinische Newsletter und Seiten im Netz. Die Studie belegt demnach ‘eindrucksvoll’, dass frühzeitige Lebensstiländerung und/oder der Einsatz von Metformin das Auftreten von Typ-2-Diabetes bei Menschen mit Prädiabetes um Jahre verzögern kann. Fazit: Prävention wirkt – aber das ist nun beileibe keine Neuigkeit.

Denn was von den medialen Interpreten der Studie als bahnbrechende Erkenntnis präsentiert wird, ist in Wahrheit eine ernüchternde Bilanz unterlassener Chancen. Was die Studie nach einer Laufzeit von zwei Jahrzehnten empirischer Forschung bestätigt, ist im Kern nichts Neues. Schon vor 20 Jahren war in Ernährungswissenschaft und Diätetik weitgehend unstrittig: Wer sich ausgewogen ernährt, körperlich aktiv bleibt und seine Gesundheitskompetenz stärkt, kann chronischen Krankheiten wie Typ-2-Diabetes wirksam vorbeugen. Ein Wissen, dass leider nie in breite gesundheitspolitische Maßnahmen übersetzt wurde. Stattdessen blieben Präventionsangebote punktuell, unterfinanziert und oft auf Hochrisikogruppen beschränkt. Zwei Jahrzehnte lang hätte man handeln können – doch die Chance, hundertausende Diabetes-Erkrankungen allein in Deutschland  zu verhindern oder hinauszuzögern, blieb weitgehend ungenutzt (zur Erinnerung: In Deutschland sterben jährlich etwa 150.000 Menschen an den direkten Folgen von Diabetes und Diabetes-assoziierten Begleit- und Folgeerkrankungen wie  z.B. Herz-Kreislauf-Erkrankungen – insgesamt etwa 16% aller Todesfälle.)

 Angesichts der neuen Daten fordern Fachgesellschaften wie die DDG (Deutsche Diabetes Gesellschaft) und das Aktionsbündis DANK (Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten) nun (wieder einmal) politische Konsequenzen in Form der Umsetzung des 6-Punkte-Plans zur Bundestagswahl 2025 – u.a. mit der Foderung nach Abgaben auf gezuckerte Getränke, steuerlichen Anreizen für gesunde Ernährung, verbindlichen Standards in der Gemeinschaftsverpflegung und einem verpflichtenden Nutri-Score. Vorschläge, die fast ausschließlich an den strukturelle Rahmenbedingungen und damit allenfalls über Umwege am Lebensstil der betroffenen Menschen selbst ansetzen.

Steuern und Verbote schaffen keine Ernährungskompetenz  

Doch wer langfristig gesund leben soll, braucht mehr als nur ein Umfeld voller Restriktionen – er braucht Verständnis, Motivation und Hilfe zur Verhaltensänderung. Steuern, Nutri-Score und Werbeverbote helfen wenig, wenn Gesundheitsbildung fehlt und die Kompetenz zur Verhaltensänderung nie vermittelt wurde. Insofern sind die Forderungen, die DDG und DANK seit Jahren gebetsmühlenartig wiederholen, alter Wein in neuen Schläuchen – und greifen viel zu kurz. Stattdessen braucht Prävention entschlossene Investition in Ernährungserziehung und Gesundheitsbildung – und von Beginn an. In Kitas, Schulen und Familien muss vermittelt werden, was gesunde Ernährung bedeutet, wie man sie in den Alltag integriert und warum sie sich lohnt. Prävention darf nicht erst beginnen, wenn erste Risikowerte im Labor auftauchen. Sie muss sozial, pädagogisch und lebensnah ansetzen – nicht nur regulatorisch. Prävention, die Erfolge bringen soll, braucht verhaltensorientierte Maßnahmen, die individuell ansetzen. Ernährungsberatung, digitale Begleitprogramme, Gruppenangebote oder ärztlich koordinierte Präventionskuren sind essenzielle Werkzeuge, wenn es darum geht, Gewohnheiten zu verändern und Verhaltensänderungen langfristig zu stabilisieren. Daran, dass hierzulande all dies nicht in die breite Umsetzung kommt und bekanntes und fundiertes Wissen über Prävention politisch und gesellschaftlich weitgehend ignoriert wird, hat auch das ‘neue’ Präventionsgesetz, das inzwischen übrigens auch schon 10 Jaqhre alt ist – keine wirklichen Verbesserungen gebracht.  Kurzum: Wer Typ-2-Diabetes wirksam vorbeugen will, darf sich nicht auf Zuckersteuern und Werbeverbote verlassen. Prävention beginnt im Kopf der gefährdeten Menschen – und muss dort auch ansetzen. Und außerdem weiß man ja: die Hoffnung stirbt zuletzt.

 Dr. Friedhelm Mühleib

 Abb.: KI