Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie und des Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde sagt dieser Tage in einem lesenswerten Interview mit der Berliner Zeitung: „Die Lebensmittelindustrie muss für jeden Lebensstil das passende Angebot haben. Wenn jemand vegan leben möchte, müssen wir dafür sorgen, dass er es kann. Wenn einer koscher leben möchte, genauso. Und wenn sich jemand nur mit Fast Food ernähren möchte, kann er das auch. Das ist dann zwar nicht mehr das, was man unter Ausgewogenheit versteht, aber es gibt eben auch ein Recht auf Unvernunft. Es ist nicht unsere Aufgabe zu urteilen.“
Passend zu dieser These liefert ALDI Süd das Beispiel aus der Praxis: Der Discounter wird künftig dafür sorgen, dass der Vegetarier günstig vegetarisch einkaufen kann. Einer aktuellen Pressemeldung zufolge führt ALDI das sogenannte V-Label zur Kennzeichnung fleischloser Produkte ein. Die Rechte an diesem Label hat der Deutsche Vegetarierbund, der den ALDI-Produkten damit so etwas wie den ‚vegetarischen Ritterschlag‘ verleiht. Dabei verweist man nicht ohne Stolz auf die harten Bedingungen: Ein Hersteller dürfe das V-Label nur verwenden, wenn er dem Vegetarierbund Zusammensetzung, verwendete Zutaten sowie Hilfsstoffe bei der Verarbeitung offengelegt hat. Jede Änderung der Rezeptur und einzelner Zutaten mache eine neue Prüfung notwendig. Offizielle Begründung des Discounters für die Maßnahme: Man wolle Vegetariern und Veganern den Einkauf erleichtern – die Produkte werden dabei entsprechend ihren Zutaten in vier Gruppen eingeteilt: vegetarisch, ohne Milch, ohne Ei und vegan – also ohne jegliche tierische Zutaten. Wie schön, dass sich ALDI fürderhin ums Wohl der Veggies kümmert. Doch ganz nebenbei dürfte es schon auch ein bisschen ums Geschäft gehen: Einer Allensbach-Umfrage zufolge sind rund sieben Millionen Menschen in Deutschland Vegetarier. 800.000 Menschen leben demnach sogar vegan. Die Zahl der Vegetarier ist damit viel zu groß, um Sie als Zielgruppe zu vernachlässigen, mit der sich gutes Geld verdienen lässt.
Angesichts der Produkte, von denen derzeit die Rede ist, dürfte allerdings manchem ernsthaften Vegetarier der Spinat aufstoßen: Da ist z.B. von Aufschnitt ohne Fleisch, Fruchtgummis ohne Gelatine, Fertiggerichten, Feinkost und Backwaren die Rede. Das hört sich in erster Linie nach Industrieprodukten für Puddingvegetarier an. Da ALDI vermutlich nur das anbietet, wofür solide Markforschung echte Nachfrage ermittelt hat, könnte das Sortiment auch Einblick auf Vorlieben und Geschmack moderner Vegetarier liefern: Hauptsache ‚Fleisch raus‘ – Frische, Natürlichkeit, Regionalität, Verarbeitungsgrad, Zuckergehalt & Co spielen im Grunde keine Rolle?
Aldi bedient damit – wohl durchaus im Minhoff’schen Sinne – einen aktuellen Trend und damit das Bedürfnis einer großen Zielgruppe. Aus Sicht des Händlers ist das sicher schlau. Was hier verkauft wird, ist deshalb aber noch lange nicht m Sinne einer modernen vollwertigen und nachhaltigen vegetarischen Ernährung – so bleibt z.B. Fruchtgummi ‘leere’ Zuckerkalorie auch ohne Gelatine. Nach Minhoff kann das dem Hersteller bzw. Händler durchaus egal sein, denn “mit moralischen Wertungen kommen wir nicht weiter”. Übrigens: Aldi ist nicht der einzige Discounter, der die Vegetarier als Kundengruppe entdeckt. Konkurrent Penny testet seit Mitte April mit der Marke “Vegafit” erstmals Produkte für Vegetarier.
Habe mal aus Interesse den “Aufschnitt” (Veggie-Leberkäs) gekauft. Sieht 1. schrecklich aus und 2. schmeckt er auch so. Nicht nur die Kinder haben verweigert. Erinnert mich doch stark an die Light-Welle, diese Aufspringen der Wirtschaft auf den Veggie-Trend: Jedes Produkt als Veggie/ Light-Version, egal, was die Geschmacksknospen sagen.
Dann doch lieber ein leckeres Brot mit Kresse oder auch bei mehr Zeit selbstgemachte Veggie-Paste z.B. aus Grünkern oder Linsen. Oder, für uns als Flexi-Veganer ab und zu handwerklich gut gemachte Mortadella vom Metzger. 😉
Interessant wäre, ob und in welcher Höhe der VEBU Linzengebühren für die Vergabe des Siegels erhält. Ganz offensichtlich gibt es beim VEBU auch gewisse Diskrepanzen zwischen Sein und Haben. Gerade flattert mir eine VEBU-Pressemeldung ins Postfach, in der der Vegetarierbund “pflanzliche Ernährung mit viel frischem Obst und Gemüse sowie Hülsenfrüchten, Getreide und Nüssen” empfiehlt und das folgendermaßen vertieft:
Frisch, naturbelassen und abwechslungsreich
Fertigprodukte, die einen industriellen Fertigungsprozess hinter sich haben, sollten in Maßen konsumiert werden. … Wenig verarbeitete Lebensmittel sind gesünder als solche, die stark verarbeitet wurden. Sojawürstchen, Seitanschnitzel und Tempehburger bieten eine Abwechslung auf dem Teller, die wir begrüßen. Jede Form der Ernährung sollte ausgewogen und vielfältig sein. Für vegetarisch und vegan lebende Menschen bieten fleischfreie und rein pflanzliche Produkte Möglichkeiten zur Variation auf dem Speiseplan, der überwiegend aus Obst und Gemüse sowie Hülsenfrüchten, Vollkorngetreideprodukten und Nüssen bestehen sollte”, erläutert VEBU-Geschäftsführer Sebastian Zösch. “Die meisten vegan lebenden Menschen gestalten ihren Speiseplan sehr abwechslungsreich. Auf den Tisch kommen viele unverarbeitete und naturbelassene Nahrungsmittel. Die Veggiekunden sind dankbar für die zahlreichen Produktinnovationen im veganen Bereich, die das Zubereiten bekannter Gerichte in der pflanzlichen Variante ermöglichen”, so Zösch weiter.
Die guten Ratschläge aus dem eigenen Hause scheinen den VEBU bei der Vergabe des Siegels an ALDI nicht gestört zu haben.
Soja, Seitan und Gluten, die unheilige Dreifaltigkeit. Da kann ich nur sagen: Mahlzeit.