Bundesernährungsminister Christian Schmidt fordert mehr Akzeptanz für das Stillen in der Öffentlichkeit – und hat sich damit endlich zu einer grundlegenden Frage zukunftsorientierter Ernährungspolitik geäußert, die vielen schon lange auf den Nägeln brennt. Schmidts Meinung nach sollte das Stillen in der Öffentlichkeit „in einer aufgeklärten Gesellschaft“ wie der unseren kein Problem sein. Wie aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen verlautet, hat der Minister die Abschaffung der Milchquote bis heute nicht überwunden. Die Einführung der Stillquote bietet ihm endlich ein adäquates Betätigungsfeld.
Schmidt möchte nach einem Bericht in der WELT das Stillen von Babys in der Öffentlichkeit populärer machen. Was die Umsetzung dieses Plans betrifft, scheinen jedoch viele Fragen noch offen: Wird es ein Gesetz geben, dass Frauen zum Stillen in der Öffentlichkeit verpflichtet? Was wird in der entsprechenden Durchführungsverordnung stehen? Wird das öffentliche Stillen zum Bestandteil der neuen deutschen Leitkultur? Wie hat sich die Öffentlichkeit zu benehmen? Ist eher der kontemplative Betrachter erwünscht oder doch die applaudierende Menge nach vollzogenem Stillen? Im Rahmen der Harmonisierung von Stillquote und Frauenquote in der Wirtschaft könnte das öffentliche Stillen künftig nicht nur in Meetings auf den Vorstandsetagen der Dax-Unternehmen selbstverständlich werden , sondern auch am Kabinettstisch. Für den Minister – selbst Vater von zwei Kindern – muss es wohl schrecklich gewesen sein, im Kabinett stundenlang neben Frau Nahles und Frau Schwesig zu sitzen und zu wissen: Diese jungen Mütter müssten jetzt eigentlich stillen! Die Kanzlerin hat sich zu Schmidts Plänen noch nicht geäußert. Aus dem Kanzleramt hieß es, sie habe Wichtigeres zu tun – auch wenn sie alle Mutti nennen.
Apropos Wichtigeres: An sich wäre das Statement des Ministers keiner Erwähnung wert, wenn der Minister in den Kernbereichen der Ernährungspolitik während seiner Amtszeit Wesentliches geleistet hätte. Man könnte über seine eher unbeholfenen Gedanken zur Stillpraxis locker hinwegsehen – schließlich muss sich so ein armer Minister von Amts wegen zu allem möglichen Schwachsinn äußern. Auf dem Feld der Ernährungspolitik hat er vier Jahre lang kaum mehr zustande gebracht, als das Erbe von Ilse Aigner mehr schlecht als recht zu verwalten – kraftlos, ohne Ideen und uninspiriert. Über Lebensmittelverschwendung hat er viel geredet, zur Reduzierung der Abfälle hat er wenig beigetragen. Die Verbesserung der Lebensmittelqualität von verarbeiteten Produkten im Sinne einer Reformulierung hat er der freiwilligen Initiative der Unternehmen überlassen – und damit die politische Führung dieses Prozesses aus der Hand gegeben ( jüngste Schlagzeile zum Thema in der LebensmittelZeitung: „Schmidt bittet Industrie um gesündere Fertigprodukte“. Die werden sich freuen, dass der Minister so höflich bittet! ). IN FORM – Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung und Bewegung unter Federführung des Schmidt-Ministeriums dümpelt vor sich hin. Einheitliche und verbesserte Tierschutzstandards und die entsprechende Kennzeichnung von Fleisch lassen immer noch auf sich warten. Innovative Strategien zur Primärprävention ernährungsbedingter Erkrankungen, zur Verhältnisprävention durch gesetzliche Initiativen im Umfeld der Ernährung, zur Vermeidung oder Reduzierung von Übergewicht sucht man im Portfeuille des Ministers vergeblich. Ernährungspolitisch ist auf Schmidts Mist wenig gewachsen. Forderungen nach entsprechenden Taten hat er mit ewig freundlichem Lächeln ausgesessen. Zu lange, um Schmidt dort weitere vier weitere Jahre sitzen zu lassen. Zum Ende seiner ersten Amtszeit hin lässt er nun auch die Chance verstreichen, noch Zeichen zu setzen. Da gäbe es Wichtigeres zu tun, als sich ums Stillen zu kümmern. Vielleicht nimmt er sich ja doch noch ein Beispiel an der Kanzlerin.