Prof. Hans Hauner, Ernährungsmediziner aus München, hat kürzlich eine Studie veröffentlicht, deren Rahmenbedingungen mehr erschrecken als die Ergebnisse der Befragung selbst. Ziel von Hauner und seinen Mitautoren war es, die Häufigkeit von Mangelernährung bei Tumorpatienten in onkologischen Schwerpunktpraxen* zu ermitteln. Mit Unterstützung des Tumorzentrums München wurden alle anerkannten onkologischen Schwerpunktpraxen in Südbayern zur Teilnahme eingeladen.
Verstörend daran war vor allem, dass die Studie schon in der Planungsphase fast gescheitert wäre – an der Ignoranz der Ärzte. Die Fassungslosigkeit Hauners ist förmlich zu spüren, wenn er unter dem Titel “Mangelernährung in der ambulanten Onkologie – sträflich vernachlässigte Patientengruppe” im Fachjournal ‚Nutrition-News‘ schreibt: „Das erste überraschende Ergebnis war, dass nur ein kleiner Teil der Praxen (17 von 44) überhaupt bereit war, sich an dieser Erhebung zu beteiligen, obwohl damit so gut wie keine Belastung für das Praxispersonal und die Praxisabläufe verbunden war. Wir haben die teilnehmenden Praxen auch systematisch befragt, ob sie ihre Patienten regelmäßig auf das Vorliegen einer Mangelernährung untersuchen, was durchgehend verneint wurde. Nur zwei der 17 Praxen hatten die Einbindung einer Ernährungsfachkraft in den Praxisbetrieb angegeben, ansonsten erfolgten Ernährungsberatungen nur sporadisch, meist durch die Ärzte oder Ärztinnen selbst.“
Schließlich konnten dann über die 17 teilnehmenden Praxen doch noch insgesamt 765 Patienten mit einer Tumorerkrankung in ambulanter Betreuung befragt werden. Bei etwa einem Drittel ergab sich ein erhöhtes Risiko für eine Mangelernährung (.. zu den Ergebnissen im Detail siehe hier ). Nur 29,9% der befragten Patienten gaben an, jemals eine Ernährungsberatung von einer Fachkraft erhalten zu haben. Angesichts der Bedeutung des Ernährungsstatus bei Tumorerkrankungen sind diese Ergebnisse nach Hauners Einschätzung besorgniserregend und weisen auf eine eklatante Versorgungslücke hin.** Der Ernährungsmediziner leitet daraus unmissverständliche Forderungen ab: Zum einen sollte auch im ambulanten Sektor jeder Tumorpatient regelmäßig ein Screening auf Mangelernährung erhalten, wie von den aktuellen Leitlinien der Deutschen und Europäischen Gesellschaften für Ernährungsmedizin empfohlen wird. Zum anderen fordert Hauner – und ist sich darin mit seinen Co-Autoren einig –, dass die Kooperation mit einer kompetenten Ernährungsfachkraft für onkologische Schwerpunktpraxen verpflichtend werden sollte. Damit das gehört wird, braucht Hauner die größtmögliche Unterstützung – vor allem von den Berufs- und Fachverbänden sowohl der Ernährungsmediziner als auch der Ernährungsfachkräfte. Sonst werden Hauners berechtigte Forderungen wie leider so oft, wenn es um ernährungsmedizinische und -therapeutische Belange geht, ungehört verhallen.
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* Onkologische Schwerpunktpraxen: Steigender Kostendruck in der Medizin führt dazu, dass auch die Chemotherapie bei onkologischen Erkrankungen – wo immer vertretbar – in den ambulanten Sektor verlagert wird. Infolgedessen haben sich in den letzten Jahren neue onkologische Betreuungsstrukturen etabliert. Die wichtigsten sind die onkologischen Schwerpunktpraxen. Dass sehr viele Krebspatienten von der Entwicklung einer Mangelernährung im Verlauf ihrer Erkrankung bedroht sind, ist bekannt. Die Studie von Hauner misst als erste den Ernährungsstatus von Patienten mit Tumorerkrankungen in ambulanten Einrichtungen in Deutschland.
** Mangelernährung: Aktuelle Studien gehen von 1,5 Millionen Menschen aus, die an einer Mangelernährung leiden – bei hoher Dunkelziffer. Betroffen sind vor allem Kinder, Senioren und Menschen mit Krebserkrankung. Mangelernährung verschlechtert bei Tumorpatienten die Lebensqualität, verkürzt die Lebenszeit und verursacht zudem enorme Kosten. Von den Krebspatienten sterben wahrscheinlich mehr als 20 Prozent nicht an ihrer Grunderkrankung, sondern an den Folgen ihrer Mangelernährung. Der Tumorstoffwechsel führt zu einer systemischen Inflammation, begleitet von schlechter Energieaufnahme und in der Folge Mangelernährung. Dem deutschen Gesundheitssystem entstehen so Mehrkosten jährlich von über 9 Milliarden Euro – entsprechend 8 Prozent (!) Anteil an den Gesamtbehandlungskosten. Obwohl viele Leitlinien ein Mangelernährungsscreening empfehlen und bei Krebspatienten zu frühzeitigem, begleitenden Kostaufbau raten, fehlt es an der praktischen Umsetzung und der notwendigen Finanzierung – sowohl in der Klinik als auch ambulant.
Foto: Copyright Juli Eberle / TU München
Ich arbeite seit 32 Jahren in einer Klinik mit mehr als 800 Betten. Diätassistentinnen gehören hier prioritär zur Küche . Es gibt kein Ernährungsteam und die Ernährungsberatung für mangelernährte in erster Linie onkologische Patienten wird völlig vernachlässigt . Einige wenige Ärzte sind interessiert daran und vor allem die Patienten selber. Denn durch die Ernährung können sie selber aktiv werden. Die Situation ist im Haus bekannt, aber ändern tut sich nichts. Gerade läuft die Zertifizierung zum Krebs Zentrum . Aber auch hier scheint Ernährung keine Rolle zu spielen. Ich habe die Hoffnung aufgegeben, dass sich in naher Zukunft etwas ändert. Zeit für Gespräche und Zuwendung sind in den DRG nicht vorgesehen. Viel Glück allen freiberuflichen Kollegen und Berufsanfängern.
Als ‘frisch geschlüpfte’ Diätassistentin motiviert mich dieser Artikel noch mehr mich vor allem Initiativ zu bewerben. Diese Studie ist eine schöne Unterstreichung der begründeten Notwendigkeit.
Ständig Stellenangeboten an welchen man zum Austeilen von Pudding eingestellt wird.
Die Patienten brauchen uns, und ich hoffe wir bekommen mehr Unterstützung um den Patienten zu helfen.
Wenn es die persönliche Situation irgendwie erlaubt, darf man derartige Stellen als qualifizierte Fachkraft nicht annehmen. Deswegen kann ich Sie in Ihrer Überlegung nur unterstützen und wünsche Ihnen viel Erfolg bei der Suche nach einer Stelle, auf der Sie Ihre Fähigkeiten zum Wohl der Patienten einsetzen können.
Ich kann nur jedes Wort unterstreichen, bin seit 30 Jahren in Österreich als Diätologin tätig und auch hier ist es so, dass außerhalb des Krankenhauses sehr wenig Wert darauf gelegt wird mit der Ernährungsfachkraft zu arbeiten. Bin aber sehr froh, dass zumindest darüber berichtet wird, Danke
… ich weiss immer nicht, ob es an der mangehalften Information liegt, die die Onkologen und Ärzte über Mangelernährung und Ernährungstherapie und ihre Erfolge haben, oder an der tatäschlichen Ignoranz der Ärzte. Ich bin versucht zu glauben, dass die Ärzte doch nciht so stumpf sien können, und es nicht (nur) Ignoranz ist. Bestimmt hilft es in jedem Fall, die Informationen zu verbreiten, mehr und besseres Wissen schadet nie. Was also kann getan werden? Mit welchen “Werkzeugen” trommeln hilft, das Gehör bei den Richtigen zu finden? Ich klappere oft persönlich in mühevoller Kleinarbeit die Ärzte hier in Münster ab, stelle mich vor und erläutere unsere ernährungstherapeutische und diätetische Unterstützung, das hilft. Das ist so zeitintensiv, dass ich oft denke, das kann doch schneller, oder? Wie?
Herzlichen Dank für diesen Artikel und die Thematisierung. Ich mag anregen, dass wir uns als Ernährungsfachkräfte und die Verbände dazu ganz laut und vor allem nach vorne dazu positionieren. Mich rief neulich eine Patientin an mit den Worten. “Mein Onkologe sagte mir, dass ich mit der Therapie nach der Krebs-Op jetzt wahrscheinlich 20 kg abnehmen werde, da soll ich mich drauf einstellen. Ich bin jetzt bei 19 kg Gewichtsabnahme, darf ich doch schon zu Ihnen kommen?” Ich kann nicht ausdrücken, was mir in diesem Moment durch den Kopf ging. Und ich finde es unfassbar und unverantwortlich, was hier mit Tumorpatienten ohne uns Ernährungsfachkräfte und unsere eindeutig notwendige ernährungstherapuetische und diätetische Unterstützung in diesem “reichen” Deutschland gemacht wird. Es ist belegt, dass die Patienten häufig an einer Mangelernährung leiden, oft schon vor einer Tumortherapie. Es ist belegt, dass die flankierende Ernährungstherapie während der antitumoralen Therapien die Therapiefähigkeit und -toleranz und den Therapieerfolg für den Betroffenen positiv beeinflusst, alles zum Wohle des Patienten. Und dennoch passiert das “Naheliegendste” nicht ??? Dem Patienten bzw. Betroffenen wird nicht offeriert, optimal informiert und ernährt durch solche eine schwere Phase und Therapie zu kommen !!! Welche Maßnahmen könnten und sollen und können wir ergreifen? Noch lauter und noch eindringlicher werden, scheint mir. Die Therpaie begleiten können wir schon, die hilfreichsten Sprachrohre und Ansprechpartner finden und sein, scheinbar noch nicht. Auf geht`s.
….und ich danke Dir für diesen Kommentar, lieBirgit. Denn er macht verständlich und deutlich, was die Unkenntnis vieler Medizinier in Sachen Mangelernährung für Ernährungsfachkräfte bedeutet – und natürlich auch, welche verheerenden Folgen für die Patienten drohen. Hier muss wirklich etwas geschehen.