Gefühlt war das gestern: Kindheit auf dem Bauernhof in den 50ern und 60ern mitten im „Rural Gardening“. Ich sehe Mutter und Großmutter im Garten, Tag für Tag eine Stunde mindestens, zu Pflanz- und Erntezeiten auch mal zwei oder drei. Das war kein Vergnügen für die beiden, es war Arbeit. Der Garten hatte einen Teil von dem zu liefern, was auf den Familientisch kam. Der Garten war nicht die einzige Pflicht. Zum Leben auf dem Hof gehörten auch immer zwei oder drei Schweine. Die Hausschlachtung hatte ihren Anteil zur Versorgung beizutragen. Das Füttern der Schweine war Aufgabe der Frauen. Wie mühselig damals, als es weder Sojaschrot aus Brasilien noch fertiges Mastfutter gab. In einem großen, alten Dämpfer wurde der „Ausschuss“ der hofeigenen Kartoffelernte gedämpft. Ich sehe Großmutter, wie sie die Kartoffeln mit den Händen quetscht, mit Getreideschrot vermengt und an die Tiere verfüttert. Und trotzdem – trotz „Rural Gardening“ und Hausschlachtung und der vielen harten Arbeit – war die 5-köpfige Familie weit von der vollständigen Selbstversorgung entfernt. Soweit eine kleine alte Geschichte.

Szenenwechsel: Peter Brabeck-Letmathe (73), langjähriger Vorstands- und Aufsichtsratschef von Nestle und der Mann, der um die Jahrtausendwende begann, den Konzern auf die Themen Gesundheit und Nutrition zu fokussieren, wird im Interview mit der Lebensmittelzeitung * gefragt, ob ihm Urban Gardening mehr als ein Lächeln entlocken kann. Antwort Brabeck-Letmathe: „Solche Formen der Selbstversorgung gab es immer schon. Denken Sie an Schrebergärten oder den Schnittlauch auf dem Balkon. Heute rücken sie auch ins Zentrum der Städte. Ich sehe das positiv. Es ist der Beweis, dass der Mensch an einer gesunden Ernährung  interessiert ist, was vielleicht vor einigen Jahren nicht in diesem Ausmaß der Fall war. In den vergangenen Jahren haben wir eine positive Kehrtwende vollzogen. Der Konsument ist sich wieder bewusst, dass Essen der wahrscheinlich wichtigste Türöffner für seine Gesundheit ist. .. Ich halte das für einen riesigen Fortschritt. Dass man mit Stadtgärten die Welt nicht versorgen kann, steht auf einem anderen Blatt.“ – Ein kluger Blick auf Urban Gardening, seine positiven Motive, aber auch auf die teilweise wenig realistischen Erwartungen, die manche damit verknüpfen.

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