Späte Genugtuung für einen alten Grantler: Udo Pollmer verkündet seit Jahr und Tag, was gerade als brandneues Ergebnis einer amerikanischen Studie die Runde macht: Demnach wäre die ganze BMI-Rechnerei und die damit verbundene Diskussion um Gesundheit und Krankheit ein ziemlicher Humbug. Nach den Ergebnissen einer Studie der University of California in Los Angeles mit 40.420 Personen, die aktuell im „International Journal of Obesity“ publiziert wurde, waren 47,4 Prozent der angeblich laut BMI Übergewichtigen pumperlgesund, während umgekehrt 30 Prozent der BMI-Gesunden Stoffwechselprobleme hatten. Fazit der Forscher: 54 Millionen Amerikaner mit hohen BMI-Werten sind in Wahrheit gesund, und krank wäre nur, sie mir höheren Versicherungsprämien zu belasten.
“Das sollte der letzte Nagel im Sarg des BMI sein”, sagt Jeffrey Hunger, Co-Autor der Studie. Da wird der Wunsch wohl noch lange Vater des Gedankens bleiben. Es wird noch lange dauern, bis der BMI als Maßstab für gesund oder krank begraben ist. Denn was wird die Ernährungswissenschaft hierzulande aus dieser Studie lernen? Zunächst mal vermutlich gar nichts. Denn hiesige Ernährungswissenschaftler stecken schon mal gerne den Kopf in den Sand und warten, bis aufziehende Stürme vorbei sind. Bis man den Focus auf die personalisierte Ernährung und ihre Erforschung setzt, was die einzig richtige Konsequenz wäre, wird noch viel Zeit vergehen.
Also ich hab mich schon von Beginn an vom BMI ferngehalten muss ich sagen. Für mich zählt der Körperfettwert, den man mit bestimmten Methoden einfach ermitteln kann. Und der Spiegel. Diese beiden Maßstäbe reichen mir vollkommen aus. Der BMI war ja schon immer etwas umstritten.
Da muss ich doch gleich mal aus zweierlei Gründen protestieren! Erstens weil das doch zuviel Ehre für den Herrn U. P. ist, der treu seinem Motto „Hauptsache dagegen“ bei weitem nicht der erste und einzige ist, der seit Jahren auf das BMI-Paradox bei uns hinweist. Da würde ich doch die Arbeitsgruppe um Prof. Norbert Stefan aus der Uni Tübingen vorziehen. Vor allem ist U.P.s vollschlankes Weiden in der Botschaft, „übergewichtig“ zu sein, wäre sogar gesünder als schlank zu sein – quasi ein Schutzfaktor – eine beschämend oberflächliche Betrachtung, die im Grunde eine Perversion medizinischer Erkenntnisse darstellt und eine gefährlich falsche Botschaft aussendet. Außerdem muss ich protestieren, weil hier in Ihrem Beitrag „BMI – Alles Humbug?“ auch nicht der entscheidende Fingerzeig an die Leserschaft gegeben wird!
Ich habe mir angewöhnt den Begriff „Übergewicht“ nur noch in Anführungszeichen zu schreiben. In der Tat hat die Zahl auf der Waage NICHTS mit Gesundheit zu tun! Normalgewichtige (im BMI-System) sind häufig nur deshalb „normalgewichtig“, weil sie dünne Ärmchen und Beinchen und keinen Hintern in der Hose haben, obwohl sie eine gewaltige Kugel als Bauch vor sich hertragen, die auf den 9 Monat Schwangerschaft hindeuten könnte. Ohne Muskeln gelangt nunmal zu wenig Wasser auf die Waage! Der Bauchraum ist dennoch so weit vorgetrieben, weil ihre Bauchhöhle schier platzt vor ektop eingelagertem Fett. Solche „Schlanke“ sind „normalgewichtige“ Hochrisiko-Personen, denn die Verfettung der Bauchhöhle macht vor den Organen nicht halt, worauf diese Funktionsstörungen entwickeln, allen voran die Leber, unserer wichtigstes Stoffwechselorgan!
Ob und in wie weit die Bauchhöhle und die Organe verfetten, hat sehr viel mit der Gesundheit der subkutan gelegenen Fettzellen zu tun. Mit gesunden Fettzellen unter der Haut man kann gesund rund werden. Mit kranken Fettzellen unter der Haut wird man zum metabolisch kranken Schlanken. Ich darf Professor Norbert Stefan aus der Uni Tübingen, einem Vorreiter in auf diesem Forschungsgebiet, zitieren, der am 11.09.2013 in einem Medscape Interview sagte: „Des Rätsels Lösung liegt in der Leber. … Nur wenn die Leberzellen verfettet sind, verschlechtert sich auch die Prognose des Übergewichtigen.“
Ich habe inzwischen schon drei Bücher zu dem Thema rund um ektopes Fett und Fettleber veröffentlicht. Eine Kapitelüberschrift in einem der Bücher aus dem Jahre 2014 lautet: „Vom Übergewichts- zum BMI-Paradox“. Das Kapitel endet mit dem Fazit: „Der BMI ist ohne gleichzeitige Betrachtung von Taillenumfang oder Taillen-/Hüft-Quotient für gesundheitsbezogene Aussagen gänzlich ungeeignet. Das Risiko für Diabetes und für Herz- und Kreislauf ist nicht primär durch die Menge viszeralen Fetts bestimmt sondern kann direkt am Verfettungsgrad der Organe abgelesen werden. Davon können Schlanke wie Dicke betroffen sein. Welche Bedeutung dem Begriff „Übergewicht“ noch zukommen soll bleibt dahin gestellt. Wir legen fortan das Kapitel „Übergewichts-Paradox“ unter dem wesentlich treffenderen Begriff „BMI-Paradox“ ad acta und Talkshow-Zuseher sollten sich in Zukunft nicht mehr von einem g’wamperten Lebensmittelchemiker in Sachen „Übergewicht als Schutzfaktor“ verkackeiern lassen. Wir wenden uns besseren Instrumenten zur Risikoeinschätzung zu. Und für den Rest des Buches wird Übergewicht nur noch mit Gänsefüßchen als „Übergewicht“ proklamiert.“
🙂
Dieses Thema wird doch schon lange diskutiert. und immer kommt dann das Beispiel, dass nach dem BMI jeder Bodybuilder übergewichtig wäre. Wie oft werde ich in der Beratung auf den hohen BMI angesprochen.Der ist, wie so vieles , in den Köpfen der Menschen scheinbar festgetackert. Aber das ist nicht nur beim BMI so. Fett macht auch immer noch fett.
Liebe Susanne, Dein Kommentar zeigt, dass die Praxis hier schon viel weiter als die Wissenschaft ist. Aber auf die Praxis hört ja wie immer keiner!