Wer hätte das gedacht: Die Deutschen können richtig feiern und guter Laune sein. Das geht hoffentlich nach der WM-Dauerdemonstration deutscher Fröhlichkeit und Partylaune noch ein bisschen weiter. Rettet möglichst viel davon in den Rest des Sommers nach der WM hinüber! Was noch fehlt, sind echte Genießerqualitäten. Das spürt man z.B. auch beim Lesen eines höchst interessanten Interviews des Kölner Stadt-Anzeigers(erschienen am letzten Samstag im “Magazin”) mit den Sterne-Köchen Dieter Müller und Joachim Wissler. Hier Auszüge:

KSTA: Mittlerweile sind Spitzenköche auch Stars. Beinahe eine Art Popstar.

Wissler: Wir sind keine Popstars, finden bei unserer Arbeit aber öffentliche Aufmerksamkeit. Und das ist auch wichtig. Wir kochen für spezielle Gäste, für Genussmenschen, die sich mit einem Besuch bei uns selbst belohnen. Wir wollen auch die Jüngeren erreichen, die zwischen 35 und 45. Denn wir müssen unsere Gästestruktur auffrischen und verjüngen. Wir sind diejenigen, die die Esskultur in Deutschland mitprägen.

 

KSTA: In Frankreich gehen auch Menschen in Spitzenrestaurants, die nicht zu den Wohlhabenden zählen. Warum ist das bei uns so anders?

 

Wissler: Da ist unsere Mentalität, dieses strenge, disziplinierte, preußische. Was uns Deutschen oft als Vorzug oder Stärke nachgesagt wird, hat ja auch eine andere Seite. Die Franzosen bringen schon mehr Lebensfreude mit, sind offener, genießen, leben mehr in den Tag hinein. Sie sagen: Ich will jetzt leben. Noch immer sind wir dadurch geprägt, dass wir den Krieg verloren haben: Für die Generationen, die unser Land aufgebaut haben, war es wichtiger satt zu werden. Wir hatten einiges zu kompensieren. Aber ich will nicht nur für Menschen mit einem gehobenen Jahreseinkommen kochen, sondern will Menschen für Lebensfreude gewinnen. Wenn ich die Worte „Gourmet“ oder „Luxusrestaurant“ höre, kriege ich schon zu viel.

KSTA: Sind Sie zuversichtlich, wenn Sie in die Zukunft schauen?

Müller: Zweckoptimistisch. Es wird nicht leichter werden, neue Gäste zu gewinnen.

Wissler: Es gibt auch bei uns Tage, wo wir mittags nur vier Tische besetzt haben. Das passiert in Deutschland auch in allen anderen Drei-Sterne-Restaurants. Da müssen wir ehrlich sein. Ich stelle folgende Rechnung auf: Unser Land hat 82 Millionen Einwohner. Und vielleicht 350 Restaurantplätze in Drei-Sterne-Restaurants. Wir schaffen es nicht, diese Plätze an fünf Tagen der Woche zu füllen. Liegt das an unserer Arbeit oder an der Bevölkerung? Wohl an beidem.

Müller: Die Preise in den Drei-Sterne-Restaurants Frankreichs und Großbritanniens liegen immer höher, oft doppelt so hoch. Eigentlich sind unsere Preise tägliche Sonderangebote. Was wir verlangen ist das Minimalste. Wenn wir unsere Menüs mittags verschenken, würden wir dennoch keinen einzigen Gast mehr gewinnen.

KSTA: Herr Wissler, warum soll jemand bei Herrn Müller essen?

Wissler: Weil er dort so viel über Essen und Trinken erfährt. Sein sensationelles Amuse-bouche-Menü enthält zwanzig verschiedene Gerichte. Das ist wie ein Geschenk, das man annehmen muss.

KSTA: Und warum sollte jemand bei Herrn Wissler essen?

Müller: Wegen seiner Liebe zum Modernen, seiner Perfektion mit all ihren vielen Details. Das ist höchster Genuss.