Gestern hier angesprochen: Die Bayern mit Ihrem „Konzept Ernährung Bayern“. Was ist daran so vorbildlich? Bereits Ende vergangenen Jahres konnte ich ein Gespräch mit Marion Kratzmair führen. Die Oecotrophologin leitet das Referat Grundsatzangelegenheiten der Ernährung am Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und erklärt im Interview, was am Umgang mit dem Thema Ernährung in Bayern so besonders ist:

A-DSC_2214bMarion Kratzmair: Unser Minister setzt stark auf das Thema Ernährung.
Foto: muehleib

Mühleib: Wozu braucht Bayern ein Konzept Ernährung ?

Kratzmair: Dahinter stand zunächst einmal der entsprechende politische Wille. Und ich kann sagen: Die politische Spitze unseres Hauses steht hinter uns und dem Konzept, das 2008 im Auftrag unseres Ministers erstellt wurde. Wir betrachten das Thema Ernährung inzwischen auch als ein wichtiges und legitimes Transportmittel für unsere landwirtschaftlichen Belange. Ernährungsfragen schließen neben der Gesundheitsförderung auch die Aspekte der Lebensmittelproduktion mit ein. Im Mittelpunkt der aktuellen Entwicklung und Diskussion stehen doch z. B. Nachhaltigkeit, Ökolebensmittel und Regionalität. Da spielen Landwirtschaft und Ernährung überall zusammen.

Mühleib: Wo setzen Sie dabei die inhaltlichen Schwerpunkte?

Kratzmair: Mit unserem Modellprojekt ‘Generation 55+’ versuchen wir z. B., den demografischen Wandel aufzugreifen. Da wird zukünftig ein Riesenbedarf sein. Dann haben wir erkannt, dass bei Ernährungs- und Bildungsprogrammen für Kinder die Eltern oft nicht mitziehen. Deswegen haben wir das Modellprojekt ‘Kita Eltern’ aufgelegt, mit dem wir Eltern stärker einbinden wollen. Ein spannendes Modellprojekt für die nahe Zukunft ist sicher auch „Ernährung in der Schwangerschaft“, mit dem wir jetzt gerade starten. Wichtig ist uns dabei, auf Ernährungsbildung mit dem erhobenen Zeigefinger zu verzichten. Das funktioniert schon lange nicht mehr. Dabei spielt heute auch der Genussaspekt eine große Rolle . Schließlich haben wir mit unseren bayrischen Lebensmitteln eine große Genusskompetenz. Wichtig ist es , Genuss und Qualität mit den Lebensmitteln zu verbinden und ins Bewusstsein breiter Bevölkerungsschichten zu bringen.

Mühleib: Beratung ohne erhobenen Zeigefinger – wie funktioniert das?

Kratzmair: Da gehen wir neue Wege und probieren auch vieles aus. Wir gehen z. B. mit unseren Ernährungsbildungsangeboten dorthin, wo sich unsere Klienten im Alltag aufhalten. Bei der jungen Familie etwa in die Eltern-Kind-Gruppen. In den Veranstaltungen stehen nicht mehr die Theorievorträge im Vordergrund, sondern das gemeinsame Kocherlebnis. Aber wir versuchen nicht nur, den Einzelnen oder bestimmte Verbrauchergruppen zu erreichen. Wir setzen auf einer übergeordneten Ebene darüber hinaus bei den organisatorischen und sozialen Bedingungen an. Um gesundheitsförderliche Ernährung möglich zu machen, versuchen wir auch, das Lebensumfeld entsprechend zu verändern.

Mühleib: Sie setzen also – wenn ich das richtig interpretiere – auf eine Mischung aus Verhaltens- und Verhältnisprävention.

Kratzmair: Genau so ist es. Während wir mit der Verhaltensprävention bei den Individuen ansetzen – bei Eltern, Jindern, älteren Menschen z. B. – versuchen wir im Rahmen der Verhältnisprävention die Bedingungen dort zu verändern, wo gegessen wird. Immer wichtiger wird für und das Thema Außer-Haus-Verpflegung. Dabei konzentrieren wir uns derzeit auf  die Kindertagesstätten und Schulen sowie die Kantinen. Dabei nutzen wir Workshops, Coaching oder unsere ProfiTreffs, um Multiplikatoren zu schulen und dadurch das Angebot in den Einrichtungen in Richtung auf eine nachhaltige und gesundheitsförderliche Ernährung zu verändern.

Mühleib: Wie schaffen sie es, die Projekte „in die Fläche“ zu bringen?

Kratzmair: Durch unsere gewachsene Struktur. Mit unseren landesweit 47 Ämtern für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten erreichen wir Verbraucher bis in den letzten Winkel Bayerns. Während andere Bundesländer diese Strukturen abgeschafft haben, hat sich der bayrische Staat als Flächenstaat weiter zur Landwirtschaft bekannt und diese Strukturen gegen alle Widerstände beibehalten.  So haben wir auch heute noch die Möglichkeit, flächendeckend vor Ort tätig zu sein. Gleichzeitig hat sich unsere Klientel geändert. Neben den Landwirten kommen viele neue Zielgruppen an unsere Ämter: Köche, junge Familien, Schwangere – also ein völlig anderes Klientel. Das wertet natürlich die Ämter und unsere Arbeit vor Ort auf.

Mühleib: Ist das der Grund, warum sich andere Bundesländer mit der Umsetzung von Ernährungsprogrammen schwerer tun?

Kratzmair: Ich denke, dort fehlt es tatsächlich an den entsprechenden Strukturen und damit verbunden auch an den finanziellen Möglichkeiten. In anderen Bundesländern ist die Ernährung oft mit dem Verbraucherschutz verbunden – die haben längst nicht den Unterbau, den unsere Ämter bieten. Es fehlt die flächendeckende Infrastruktur. Die Gestaltungsfreiheit haben wir vor allem der Politik des Hauses zu verdanken. Unser Minister setzt stark auf das Thema Ernährung.

Das gesamte Interview ist nachzulesen in der Print-Version der VDOE POSITION 04-2012 (Verbandszeitschrift der Oecotrophologen), S. 8 – 11.