Lichterloh brennen die Regenwälder Amazoniens. Zum Glück ist der Hauptschurke in diesem Drama gefunden: Jair Bolsonaro. Die ganze Wut der vereinigten Klimaretter konzentriert sich auf ihn. Dass die Katastrophe genauso viel mit uns und unserem Konsumverhalten wie mit dem irren Plutokraten in Brasilia zu tun hat, sieht kaum jemand: Die Verbraucher der Industrieländer – speziell in Europa – mit ihrem noch immer riesigen Fleischhunger gerieren sich wie die Biedermänner, die sich unschuldig wähnen und dabei dem Brandstifter Bolsonaro Tür und Tor geöffnet haben. Würde Bolsonaro morgen wegen Verbrechens an der Menschheit für immer hinter Gitter gebracht, wäre das Feuer längst nicht gelöscht. Schon allein deswegen nicht, weil der Regenwald nicht nur im Reich des rechtspopulistischen Caudillo brennt. In ganz Amazonien wird Regenwald in erschreckendem Ausmaß abgefackelt – im Bolivien des sozialistischen Heilsbringers Evo Morales (..der noch vor Kurzem ein Dekret verabschiedet hat, das die Abholzung in zwei Amazonas-Provinzen ausdrücklich erlaubt) genauso wie im Süden Perus sowie in den Regenwäldern Kolumbiens. Wer von uns kennt diese Länder gut genug, um sich ein Urteil über die Ursachen anmaßen zu können? Hat die BILD-Zeitung den Kern des Geschehens erfasst, wenn sie schreibt: „Angezündeter Wald, um Gewinne mit Weideland zu erwirtschaften. Gelegte Feuer, um Bergbau zu betreiben. Reine Profitgier auf Kosten unserer Erde.“ Brasilien ist so weit weg, dass sogar ein BILD-Redakteur endlich mal ungestraft über grundböse Kapitalisten herziehen darf. So einfach ist die Gemengelage in der Realität allerdings leider nicht. Wer die verantwortungslose Profitgier brasilianischer Großgrundbesitzer (..die es natürlich tatsächlich gibt) als Grund für die Brände anprangert, darf die Ursachen, aus denen sich diese Gier speist, nicht außer Acht lassen – und an diesen Ursachen tragen wir in Europa Mitschuld und Mitverantwortung.
Die durch Brandrodung (.. und Abholzung) gewonnenen Flächen in Amazonien dienen vor allem der Gewinnung von Weideland für die Rinderzucht und den Anbau von Soja, das vorwiegend zu eiweißreichem Sojaschrot verarbeitet und in dieser Form zur Fütterung bzw. Mast von Nutztieren verwendet wird. Dabei ist Brasilien mit einer Erntemenge von ca. 120 Millionen Tonnen pro Jahr der größte Sojaproduzent der Welt, die Sojaernte der USA fällt ca. 10% geringer aus. Den Löwenanteill davon – knapp 90% – exportieren die Brasilianer. Wichtig zu wissen: In der konventionellen Landwirtschaft Europas und Nordamerikas ist Soja eines der wichtigsten Eiweißfuttermittel im Tierfutterbereich. Es wird vor allem an Schweine, Geflügel und auch an Rinder verfüttert. Zu den größten Abnehmern von brasilianischen Sojabohnen und argentinischem Sojaschrot gehören Deutschland und Frankreich: Soja bzw. Sojaschrot ist mit einem Anteil von rund 30 Prozent an der in Deutschland verbrauchten Futtermittelmenge vertreten, was ca. 4,5 Millionen Tonnen jährlich entspricht. Die deutschen Sojaimporte sind fast vollständig für den Futtermittelbereich bestimmt. Dazu sei der BILD-Zeitung und allen anderen voreiligen Schuldzuweisern ein Zitat des ehemaligen Bundesumweltministers Sigmar Gabriel aus dem Mai 2008 ins Stammbuch geschrieben: “Die Profiteure der Regenwaldabholzung sind weit mehr die deutschen Bauern als die brasilianischen Landwirte”. Unsere Nutztiere fressen auf dem Weg über das importierte Soja buchstäblich den Regenwald auf.
Parallel zum Bedarf an Soja als Futter für die Tiermast ist auch die ungebrochene Nachfrage nach günstigem Fleisch in Europa und Deutschland ein Treiber für die Rinderzucht in Brasilien und damit eine Ursache für Brandrodung und Abholzung. Als weltweit führende Exportnation für Rindfleisch wird Brasilien im laufenden Jahr voraussichtlich 2,2 Millionen Tonnen Rindfleisch exportieren (..gegenüber rund 1,7 Millionen im Jahr 2015). Die Europäische Union wird im laufenden Jahr ca. 370.000 Tonnen davon importieren. Laut Zahlen des Verbands der brasilianischen Fleischexporteure (ABIEC) stieg die Zahl der Einfuhren der EU aus Brasilien allein im vergangen Jahr um neun Prozent an. In Brasilien wurden die Weide- und Ackerflächen seit 2000 um mehr als 160 Prozent auf heute etwa 22 Millionen Hektar ausgeweitet, erklärt der WWF. In den vergangenen elf Monaten seien 5054 Quadratkilometer Regenwald gerodet worden, schätzt etwa die Nichtregierungsorganisation Imazon. Das entspricht ungefähr der doppelten Fläche des Saarlands.
Was nun jeder von uns jenseits lautstarker Schwadronaden gegen die bösen Latifundistas und Bolsonaro ( ..wobei man wissen muss, dass auch unter dem Sozialisten Lula da Silvas und seiner Nachfolgerin Dilma Rouseff unablässig Regenwald gerodet wurde) gegen die Vernichtung des Regenwaldes tun kann, lässt sich in wenigen Punkten zusammenfassen. Hier die ‘Sofortmaßnahmen’ für alle, die sich inständig wünschen, dass dieser Wahnsinn in Amazonien aufhört: ● Ab sofort auf Fleisch verzichten oder zumindest wesentlich weniger Fleisch essen. Motto: Fleisch – die Hälfte reicht. ● Importfleisch aus Brasilien boykottieren ● Kein Fleisch aus Massentierhaltung und Tiermast ● Bio-Fleisch bevorzugen, da von den Biobauern regionale und heimische Futtermittel bevorzugt werden ● Mehr Geld ausgeben für gutes Fleisch! Nicht meckern und sparen, wenn für faires Fleisch faire Preise verlangt werden ● Umsteigen auf überwiegend vegetarische, vollwertige Ernährung. So fügt der brennende Regenwald all den bekannten Argumenten für weniger Fleisch auf dem Tisch (Tierwohl, Gesundheit, Nachhaltigkeit usw.) einen gewichtigen Grund hinzu: Den winzigen, aber wichtigen persönlichen Beitrag zum Schutz eines für die Menschheit überlebenswichtigen Ökosystems, ohne das sich das Klima ganz bestimmt nicht mehr retten lässt.
Entsprechend gilt übrigens für die Landwirte bzw. Tierhalter und Mäster:● Den heimischen Anbau und die Verarbeitung von Sojabohnen stärken ● Sojaschrot durch andere heimische Eiweißträger wie Rapsschrot, Rapspresskuchen, Sonnenblumenschrot ersetzen. ● Verzicht auf Turbomast, verbunden mit der Reduzierung des Verbrauchs von eiweißreichen Futtermitteln. Wenn Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) nun als eine Art „Sofortmaßbnahme“ angekündigt hat, Klimaschutz-Fördermittel für Brasilien auf Eis zu legen, ist das aktionistischer Schwachsinn, der den Klimaschutz in Brasilien zusätzlich schwächen wird und damit in höchstem Maße kontraproduktiv ist. Die einzige Sanktion mit garantiertem Erfolg wäre ein Importverbot der EU für Soja aus Brasilien.
Apropos Schuldzuweisungen: Unter den zahllosen Ursachen für das, was in Amazonien passiert, müsste man natürlich auch jenseits unseres ökologischen Betroffenheitsdenkens der Tatsache Rechnung tragen, dass in Brasilien – trotz seines Status als ‚Schwellenland‘ – und allemal in Bolivien, Peru und Kolumbien bis heute in weiten Teilen eine bettelarme Bevölkerung lebt, deren Armut historisch gesehen ihre Wurzeln auch in der Eroberung, Unterdrückung und Ausbeutung durch die Conquista (..mithin also durch Europa) hat, von der sich viele soziale, ökonomische und ökologische Verbindungen bis hin zur Rodung und Abholzung Amazoniens ziehen. So ist es ganz sicher kein Zufall, wenn Bolsonaro Macron und die Europäer in der Diskussion um den brennenden Regenwald öffentlich einer “kolonialistischen Denkweise” bezichtigt. Aber dieses Fass ohne Boden machen wir hier nicht auch noch auf.