Stell Dir vor, Du holst Dir einen banalen Durchfall – und stirbst ein paar Tage später daran. Wie sich herausstellt war der Auslöser – ein pathogener Darmkeim – gegen jedes Antibiotikum resistent. Wir sind im Krieg, und die wenigsten wissen es. Die Gegner sind überall, unsichtbar und unzählbar: Die Bakterien. Während sie ungestört die letzten Verteidigungslinien der Medizin unterwandern und ihre tödlichen Waffen weiter entwickeln, wähnt sich der Mensch noch immer in trügerischer Sicherheit. Wozu gibt es schließlich Antibiotika?

Mitte April meldet das New England Journal of Medicin die Entdeckung eines neuen Superkeims: „In Brasilien ist erstmals ein Mensch schwer an einem Staphylococcus aureus-Stamm (MRSA) erkrankt, der auch gegen Vancomycin resistent ist. Das gegen MRSA am häufigsten eingesetzte Antibiotikum wirkt damit gegen ihn nicht mehr. Außerdem besorgniserregend: Dieser neue Superkeim stammt nicht aus dem Krankenhaus, sondern kursiert in der breiten Bevölkerung. Er könnte daher auch gesunde, nicht immungeschwächte Personen befallen, fürchten die Experten,“ so fasst das online Wissensmagazins scinexx den Bericht über den gruseligen Fund zusammen. Den großen Medien war das allenfalls eine Kurzmeldung wert.

Warnende Stimmen gibt es seit langem und genug: Es sollte sattsam bekannt sein, dass Bakterien weltweit in immer größerem Ausmaß Resistenzen gegen Antibiotika entwickeln, dass die unkontrollierte Verwendung von Antibiotika bei jeder noch so banalen Infektion die Entwicklung von Resistenzen begünstigt und dass vor allem auch der in vielen Ländern der Welt immer noch weitgehend unkontrollierte Antibiotika-Einsatz in der Massentierhaltung die Katastrophe beschleunigt*. Doch während sich der moderne Mensch schnell mal von allen möglichen Banalitäten in Panik versetzen lässt, hat diese echte Bedrohung offensichtlich bisher nur wenige um den Schlaf gebracht. In jüngster Zeit mehren sich die Meldungen, die darauf hinweisen, dass sich die Situation dramatisch verschärft. Kurz nach dem Bericht im New England Journal gab es zum Start in den Mai die Vorstellung des ersten WHO-Reports zur Resistenzproblematik. Darin macht die Weltgesundheitsorganisation (WHO) deutlich, dass der weitgehende Wirkungsverlust von antimikrobiellen Medikamenten keine Bedrohung der Zukunft, sondern jetzt schon globale Realität ist. Der stellvertretende Generaldirektor Keiji Fukuda warnte sogar vor dem bevorstehenden Beginn einer Post-Antibiotika-Ära.

Anfang April wies der zuständige EU-Gesundheitskommissar Tonio Borg auf die wachsende Problematik in Europa hin. In einem Interview mit der “Welt” sagte er: “Die zunehmende Resistenz in der Bevölkerung gegen Antibiotika ist ein Alarmsignal. Jedes Jahr sterben mindestens 25.000 Menschen, weil sie gegen Antibiotika resistent sind und ihnen somit nicht geholfen werden kann. Die Antibiotika-Resistenzen verursachen pro Jahr rund 1,5 Milliarden Euro an Gesundheitskosten und Produktivitätsverlusten” **. Dies sei ein “unhaltbarer Zustand”, so der Kommissar aus Malta. WHO-Generaldirektor Fukuda fordert nun weltweit entschlossene Aktionen. Dazu gehöre beispielsweise ein leistungsfähiges Labornetz, das aufkommende Resistenzen rasch erkennen und entsprechende Informationen für ein schnelles Gegensteuern sammeln und weitergeben kann, wie die Huffington Post berichtet. Ärzte, so Fukuda, sollten möglichst keine Breitband-Antibiotika, sondern nach entsprechenden genauen Untersuchungen gezielte Monopräparate verordnen.

Aber auch jeder einzelne kann etwas tun – auch wenn es nur wenig ist: Z.B. bei eigenen Infekten Antibiotika in Absprache mit dem Arzt nur nutzen, wenn es wirklich nötig ist und Menschen im privaten Umfeld aufklären, die sich für eine banale Grippe wieder einmal ein Antibiotikum verschreiben lassen (..und ähnliche Fälle). Wer politisch tätig ist, sollte den verantwortungsvollen Umgang mit Antibiotika als gesundheitspolitisches Thema wo immer möglich auf die Agenda bringen. Und auch das hilft: Fleisch – die Hälfte reicht! Wer weniger Fleisch ist, leistet ebenfalls einen kleinen Beitrag: Es gilt, die massenheafte Verwendung von Antibiotika in der Fleischproduktion drastisch zu reduzieren. Es wird also Zeit, zu handeln – bevor jeder (bisher harmlose) Harnwegsinfekt oder die kleine Hautverletzung lebensbedrohlich wird. Über weitere Anregungen, was getan werden kann, freut sich die Kommentarleiste!

*Siehe dazu auch den aktuell in der ZEIT erschienenen Artikel von Dagmar Dehmer

** Ich hoffe, es handelt sich hier nur um einen Übersetzungsfehler der WELT. Der Kommissar weiß hoffentlich, dass nicht die Menschen, sondern die Krankheitserreger gegen Antibiotika resistent sind. Mal wieder ein Beispiel für  schludrigen Journalismus.