Kurz vor der Bundestagswahl werden sie wieder einmal besonders laut, die Rufe der verschiedensten Akteure aus dem Ernährungs- und Gesundheitsbereich nach Verbrauchssteuern auf Zucker und andere ‚ungesunde‘ Lebensmittel zur Eindämmung ernährungsbedingter Erkrankungen wie Übergewicht, Adipositas und Diabetes. Meldungen über den Nutzen einer solchen Steuer sind da besonders willkommen. Unter der Headline „Zuckersteuer zeigt Erfolge“ berichtet die aktuelle Ausgabe des Diabetesinformationsdienst z. B. über die Erfahrungen in der kalifornischen Stadt Berkeley, die 2014 als erste Stadt in den USA eine Steuer auf zuckerhaltige Getränke eingeführt hat. Die Erfolge erweisen sich bei näherem Hinsehen als eher bescheiden: In einer begleitenden Studie in Supermärkten wurde die Entwicklung der Preise und Verkaufszahlen von Softdrinks vor und nach Einführung der Steuer verglichen. Parallel dazu wurden Verbraucher zu Ihrem Konsumverhalten befragt. Heraus kam:  Innerhalb eines Jahres sank der Verkauf von gezuckerten Getränken in den beobachteten Geschäften um 9,6 Prozent. Der Verbrauch nicht-besteuerter Getränke stieg an: bei Wasser um 15,6 Prozent, bei Frucht- und Gemüsesäfte sowie Tees um 4,4 Prozent.

Überall dort, wo bisher Sondersteuern auf süße Produkte eingeführt wurden – Frankreich, Ungarn, Finnland und Mexiko – wird der „Erfolg“ am Rückgang des Verbrauchs der besteuerten Lebensmittel gemessen. Im Hinblick auf die primären Ziele – Eindämmung ernährungsbedingter Erkrankungen wie Übergewicht, Adipositas und Diabetes – sagt ein Verbrauchsrückgang rein gar nichts aus. Die Ergebnisse entsprechender Studien, die von den hiesigen Befürwortern solcher Steuern gerne zitiert werden, sind damit als Argument für die Einführung ähnlicher Steuern wenig geignet. Den Rückgang des Verbrauchs als Beleg für den Erfolg solcher Steuern kann man getrost vergessen! Die wirklich wichtigen Fragen sind derzeit noch völlig ungeklärt: Was essen und trinken die Menschen anstelle der Lebensmittel, deren Verbrauch reduziert wird? Werden die besteuerten Produkte durch ‚gesunde‘ substituiert? Wird die tägliche Energiezufuhr  geringer? Gehen Übergewicht und Adipositas in der Bevölkerung zurück? Reduziert sich die Zahl der Neuerkrankungen bei Diabetes und ähnlichen ernährungsmitbedingten Erkrankungen? Das sind die Informationen, die es braucht, um den zielorientierten Nutzen entsprechender Steuern zu belegen. Die gibt es aber nicht.

Hinzu kommt: Eine Zuckersteuer auf Süßgetränke & Co. würde hierzulande am ehesten die Ärmsten belasten: So sind Kinder, Jugendliche und einkommensschwache Erwachsene die größten Fans von Süßgetränken in Deutschland. Nach den Daten der Nationalen Verzehrstudie trinken Deutsche der unteren Einkommensgruppe dreimal so viele Softgetränke wie die Bestverdienenden. Eine Steuer wäre für diese Menschen eine Strafe ohne jeden Lerneffekt – und bei fehlender Bereitschaft zum Verzicht eine echte finanzielle Belastung. All die, die derzeit mit viel Getöse unreflektiert auf eine Zuckersteuer setzen, sollten diesen Unsinn schleunigst vergessen! Obwohl: Eine Rechtfertigung dafür wäre vorstellbar – wenn die Politik bereit wäre, die Einnahmen aus einer solchen Steuer in die Prävention der entsprechenden Krankheiten und die Ernährungsbildung fließen zu lassen. In den Forderungen derer, die für die Zuckersteuer plädieren, kommt dieser Vorschlag nicht vor. Wieso eigentlich nicht?

Übrigens: Noch einmal kurz zurück nach Berkeley, wo sich nach Einführung der Steuer ein Limonadentourismus entwickelt hat. In den nicht-steuerpflichtigen Geschäften der Nachbarstädte stieg der Absatz entsprechender Produkte um 6,9 Prozent – was die Maßnahme vollends zur Nullnummer macht. Da sieht man schon ganz NRW nach Holland pilgern, um den Tank mit billigem Sprit und den Kofferraum mit Limo zu füllen. Klar, lohnt sich doch doppelt 🙂 .